Bikepacking Trans Germany 2019

Bericht zur „Bikepacking Trans Germany 2019“
von Basel zum Kap Arkona (Rügen) – 7.7. bis 13.7.2019

Zunächst hatte ich für diesen Bericht an eine fetzigere Überschrift in der Art „Zwei alte Langstreckenhasen von der Straße schottern einmal diagonal durch Deutschland“ gedacht. Da das aber irgendwie zu lang und unhandlich ist, hab ich mich dann aber doch für die langweilige Standardvariante entschieden.

Should I Stay or Should I Go

Angefangen hatte dieses Projekt bei mir schon letztes Jahr im Juli als ich BTG 2018 als Dotwatcher am PC verfolgte. Fasziniert haben mich die schöne Streckenführung und die Idee dazu – von Basel nach Rügen ist schon richtig genial brachial! Außerdem hat mich der heroische Rekord-Ritt von Ben und Chuck Beyer begeistert. Das war ganz großer Sport und das direkt vor meiner Haustür.

Nach zehn Jahren Langstreckenbrevets mit dem Rennrad auf der Straße, befand ich mich an einem Wendepunkt. Soll ich 2019 noch mal Paris-Brest-Paris fahren oder soll ich Neuland betreten und neue Herausforderungen suchen? Da mich der Bikepacking Virus schon einige Jahre infiziert hat und ich schon die eine oder andere selbstgeplante Bikepacking Tour mit dem Mountainbike unternommen hatte, reifte diese Idee in mir immer weiter.

Als ich meinem Freund Stefan von der BTG per E-Mail berichtete und auch über die Neuerungen auf dem Markt der Gravelbikes erzählte, überraschte er mich sehr. Um das zu erklären muss ich aber etwas ausholen. Stefan und ich kennen uns schon seit 2007 als er sich auf seine erste Teilnahme bei Paris-Brest-Paris vorbereitete. Er ist womöglich sogar daran schuld, dass ich selbst mit dem Langstreckenradeln angefangen habe. Auf jeden Fall habe ich sehr viel von ihm gelernt – nicht nur sportlich, sondern auch den Blickwinkel für die wesentlichen Dinge in unserem Hobby. So sind wir seit damals schon viele hunderte Kilometer zusammen gefahren und haben so einige Abenteuer gemeinsam bestanden (siehe z.B. hier bzw. hier). In den letzten Jahren konzentrierte er sich aber mehr auf den Klettersport und war fürs Langstreckenradeln nicht mehr zu motivieren. Umso mehr überraschte er mich, als er sich von mir und meinen E-Mails mit dem BTG-Virus infizieren ließ und genauso begeistert von dem Event war wie ich. Also entstand die Idee 2019 die BTG gemeinsam in Angriff zu nehmen!

Seitdem gingen unsere Vorbereitungen dann erst richtig los – viel musste organisiert bzw. angeschafft werden: ein neues (Gravel-)Rad, neue Taschen, leichteres Schlaf-Equipment und und und … Uns war klar, dass ein niedriges Gesamt-Systemgewicht von entscheidender Bedeutung fürs flüssige Vorankommen und den Fahrspaß sein wird. Der schmale Grat zwischen was ist „wirklich relevant“ und was ist „verzichtbarer Luxus“ musste gefunden werden. Ich erstellte mir erstmals eine komplette Packliste und wog alle Teile mit der Küchenwaage ab. Ich optimierte mal etwas hier und mal etwas da – ein wirklich großartiges Projekt auch schon in der Vorbereitung.

Da wir beide gerne strategisch denken und so wenig wie möglich dem Zufall überlassen wollten, befassten wir uns seit dem Frühjahr 2019 auch intensiv mit der Strecke. Stefan ist den Abschnitt von der Wutachschlucht bis Bayreuth und ich den Abschnitt von Aalen bis Dresden zur Probe abgefahren. Die Steigungen und die Versorgungslage zu kennen ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Besonders die Versorgungslage mit Wasser und Essen stellt auf einigen Abschnitten deutlich mehr Überlegung voraus als auf Brevets. 24 Stunden Tankstellen gibt es im Wald eher wenige und man kommt durch verdammt lange Abschnitte, wo man nur im Wald unterwegs ist bzw. nur kleine Kuhdörfer streift, wo sich selbst Fuchs und Hase nur sehr selten zum „Gute Nacht sagen“ über die Wege laufen.

Kurzum Phrasen wie „Bleibt Alles Anders“ und „Nur nach vorne gehen“ haben mich schon immer begeistert. Nur der Wandel hat Bestand – Goodby PBP 2019 – Aloha BTG 2019 !

Tag 1 – Fitfuckers Galore

Basel – kurz hinter der Nebelhöhle (258,79 km / 3.467 hm)

Was sich schon bei der Anmeldung am Vortag abzeichnete, bewahrheitete sich gleich auf den ersten flachen 80 Kilometern. Wo sind wir da bloß reingeraten fragte ich mich? Wir hatten uns strategisch ganz vorne aufgestellt, um wie von den Brevets gewohnt, die ersten Kilometer im Sog der Spitzengruppe möglichst effizient vorbeifliegen zu lassen. Aber wenn ich so meine Mitfahrer der ca. 20 Mann starken Spitzengruppe musterte, wurde mir angst und bange. Alles Maschinen, die nur aus Haut, Knochen und Oberschenkelmuskeln bestanden. Dazu hatten alle fast kein Gepäck am Rad. Das kann ja heiter werden! War es mir in den letzten Jahren durchaus möglich bei einem Brevet in der Startphase zu beurteilen, wer überpaced und am ersten Berg gleich wegplatzt, war das hier eine ganz andere Nummer. Dank unserer Rennrad Erfahrung war es für uns aber kein Problem den schnellen Start mitzugehen – nach jeder Kurve immer wieder kurz & hart antreten usw. was für ein Spaß!

Trotzdem war ich richtig froh, als nach dem Trage-/Schiebstück aus der Wutachschlucht, der „Teufelsküche“, das Feld der Spitzengruppe gefühlt explodiert war. Endlich konnten wir unseren eigenen Rhythmus finden und etwas Ruhe und Gelassenheit in die Sache bringen. Den langen Anstieg zum hohen Randen fuhr jeder von uns in seinem eigenem Tempo – d.h. ich fuhr bei den Anstiegen wegen 10kg weniger Systemgewicht und dem knapperen kleinsten Gang von 38/42 meistens vorne weg. Bei KM 115, der ersten vorab recherchierten Wasserstelle an einem Friedhof, trafen wir uns dann wieder.

Nach einem kurzen Eis und Cola Stopp in Tuttlingen wollten wir in Deilingen beim Italiener einen Teller Nudeln essen. Als wir eintrafen war das Restaurant übervoll – auf der Alb gibt es halt nicht so viel Auswahl. Neben uns ein Tisch mit ca. 15 Personen, die alle noch die Speisekarten in den Händen hatten. Wir erklärten der Bedienung unsere Situation und bestellten ohne Karte sofort vom Fleck weg. Zwei Teller Spaghetti Bolognese mit ca. 5 großen Getränken. Und es funktionierte tatsächlich ziemlich gut und wir bekamen unser Essen zeitnah.

In unserer Verdaungsphase kam Benni von hinten angeradelt. Wir hatten am Vortag bei der Anmeldung schon etwas geplaudert und ich mochte seine nette und offene Art. Wir unterhielten uns etwas über Ernährung auf der Langstrecke. Ich erzählte ihm von unserer Geheimwaffe in Form von Maltodextrin und Fresubin um Hungerlöchern vorzubeugen. Für ihn war das völliges Neuland und er war sehr interessiert. Im nächsten Ort gab ich ich ihm aber die dringende Empfehlung was „Richtiges“ zu essen, weil danach auf ganz lange Sicht kein Restaurant oder ähnliches mehr kam.

Der Bereich um den CP1 ist wohl der größte Mist der ganzen Strecke. Ein wahres Wurzelinferno tat sich vor uns auf. Eine einzelne Wurzel überspringt man noch locker, auch für zwei Wurzel findet man noch eine Linie. Aber für ein ganzes Geflecht aus Wurzeln hilft nur Augen zu und durch. Ich halte meine innere Stimmung gerne nahe am positiven Siedepunkt – aber hier habe ich geflucht wie ein Rohrspatz!

Wir hatten uns eine Woche vor dem Start, bei einer gemeinsamen finalen Testfahrt von Bad Urach aus, einen schönen Schlafplatz bei KM 260 ausgesucht. Diesen wollten wir noch erreichen. Weil danach ein recht langes Single Trail Stück folgte, machte es für uns keinen Sinn im Dunkeln weiter zu fahren. Auf dem letzten Stück fuhren wir auf Petr auf. Er eierte langsam vor sich hin. Als wir ihn dann überholten fuhr er plötzlich wieder wie von der Tarantel gestochen an uns vorbei – ach ja wir befinden uns in einem Rennen – ich vergaß 🤣

Wir erreichten unseren gewünschten Schlafplatz, einen kleinen Heuschober direkt am Weg, dann relativ entspannt. Das war eine Punktlandung hoch zwei, denn just in dem Moment wo wir dort eintrafen, setzte leichter Regen ein. Stefan bettete sich auf Strohballen und ich auf dem Boden.

Ach ja, als „Fitfucker“ werden unter den Bikepackern diejenigen bezeichnet, die den sportlichen Aspekt ihres Treibens einen besonderen Stellenwert einräumen. Dazu mag ich mich durchaus explizit einschließen 😉

Tag 1 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2513816130

Tag 2 – schonungslose Härte, grazile Naturschönheit & das erste Versorgungsloch

kurz hinter der Nebelhöhle – Schönbronn (232,95 km / 3.739 hm)

Dass dieser Tag hart werden würde, war uns beiden klar. Es erwartete uns ein konstantes Auf und Ab auf der Schwäbischen Alb, was erst hinter Aalen vorbei sein würde. Nach dem wir unsere Flaschen einem Brunnen aufgefüllt hatten, fuhr sich der lange Single Trail Abschnitt bis Bad Urach ziemlich entspannt. Wir stoppten, wie vorab geplant, an einem Top-Bäcker in Hülben wo es eine große Auswahl an lecker belegten Brötchen gab.

Der Anstieg auf die Teck war dann verdammt lang. In Kuchen begegneten wir bei einem Supermarkt-Stopp Torben aus Dänemark. Er war mir am Vortag schon mehrfach mit seinem schwer bepackten quitschpinken Fully aufgefallen. Damit kurbelte er erstaunlich leichtfüßig die Anstiege hinauf. Nach dem hammerharten Anstieg hinter Kuchen folgte vor Aalen mit dem „Wental“ mein persönliches landschaftliches Highlight der gesamten Strecke. Ein Traum und sicherlich mal einen Besuch unter entspannteren Bedingungen wert!

Stefan meinte wir sollten Aalen als Versorgungsmöglichkeit auslassen, um am „Bucher Stausee“ aka „The Beach“ eine Kleinigkeit zu essen. Die Currywurst mit Pommes, die auch noch ewig dauerte, war aber irgendwie nicht so der Knaller.

Unser eigentlicher Plan war dann in Schillingsfürst nochmal etwas Warmes zu Essen. Da sich das aber alles etwas länger zog als geplant und die Zeit irgendwie verflog, versuchten wir schon in Schnelldorf etwas zum Essen zu finden. Aber Pustekuchen – Montag ist Ruhetag und außer einem lumpigen Döner gab es da nix Offenes. Also mal in Schillingsfürst bei den Restaurants anrufen, ob man da auch noch bis 21:00 Uhr was zu essen bekommt – ebenfalls Pustekuchen – entweder geschlossen oder zu spät. Mist! Hilft ja nix – weiterradeln und schauen, ob sich irgendwo eine Tür öffnet.

Das einzige was wir in Schillingsfürst dann finden konnten, war eine überteuerte kalte Vesperplatte mit einer Maultaschensuppe als Vorspeise im Hotel Post. Meine persönliche Lage war nach der hohen Anstrengung des Tages und der miesen Versorgung ziemlich desolat. Zudem wurde es nach Sonnenuntergang rapide kühl. Hinzu kam, dass Stefan mit seiner Schlafausrüstung falsch gepokert hatte bzw. diese nie konkret getestet hatte. Er hatte „nur“ einen Biwaksack und eine Daunenjacke dabei. Keine Isomatte und keinen Schlafsack. Schon in der letzten Nacht, als er auf den Strohballen geschlafen hatte, sei es laut seiner Aussage an den Beinen grenzwertig kalt gewesen. Na prima – das kann ja heiter werden!

Aber das Schicksal sollte es gut mit uns meinen. Ca. 10km hinter Schillingsfürst befindet sich der Shelter, der auf dem Video von der BTG Startseite ab Minute 2:10 zu sehen ist. Mit verschließbarer Tür und Gardienen ein wahres Luxusexemplar eines Shelters. Eigentlich wollten wir an diesem Tag mehr Kilometer fahren, aber ich war ziemlich platt und auch Stefan musste ich nicht lange überzeugen. Als wir uns gerade häuslich einrichteten, öffnete Benni die Tür. Welch freudige Überraschung! Auch er wollte eigentlich weiterfahren, aber auch er erlag dem Charme eines Schelters mit Gardinen. Und Platz genug für drei war allemal.

Tag 2 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2516659361

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Tag 3 – Frühstücksloch, Fichtenüberdruss & Vier Sterne Wellness Bikepacking

Schönbronn – Bad Elster (259,87 km / 3.468 hm)

Erneut hatten wir alles richtig gemacht. Der Morgen war mit Temperaturen unter fünf Grad sehr kalt und in einem offenen Shelter wäre Stefan wohl halb erfroren. Da die nächsten Nächte ähnlich kalt sein sollten und Fichtel- und Erzgebirge auch eher nicht für ihre Wärme bekannt sind, galt es Alternativen zu suchen. Da Stefan diese Nummer verbockt hatte, überließ ich es auch ihm, eine Lösung für uns zu finden.

Zunächst mussten wir an diesem Morgen erstmal knapp 90 Kilometer bzw. 4,5 Stunden radeln, bis wir in Erlangen was zum Frühstücken fanden. Auf diesem Abschnitt hatten wir Benni wieder verloren, da ihm vermutlich etwas Energie in Form von Essen gefehlt hatte. In Erlangen wurden dann eventuelle zukünftige Versorungslöcher auch gleich vorsorglich geschlossen, da ich am Vortag in einer Apotheke telefonisch „Astronautennahrung“ in Form von Maltodextrin und Fresubin vorbestellt hatte. Das gab uns Sicherheit, bei längeren Abschnitten ohne Versorgungsmöglichkeiten nicht in ein Hungerloch zu fallen.

Bis Bayreuth lief es dann über CP2 ganz gut und relativ einfach. Dort gab es dann mal wieder einen Teller Nudeln, weil danach lange Abschnitte im Wald folgen sollten. Da wir bis ca. Adorf fahren wollten, versuchte Stefan dort ein Hotel für die Nacht zu organisieren. Das einzige Hotel mit Nachtportier fand er dann aber in Bad Elster, was etwas abseits des Tracks liegt. Und wie der Name des Ortes schon erahnen ließ, lag es wohl eher im Tal, was uns ein paar zusätzliche Höhenmeter einbringen sollte.

Bis dahin galt es aber noch richtig tief ins Fichtelgebirge einzutauchen. Der „Große Waldstein“ ist wohl der längste Anstieg, den man auf dieser Tour am Stück zu bewältigen hat. Ich sagte Stefan zu Beginn „Oben sind wir, wenn wir am Turm sind“ – aber dieser blöde Turm wollte einfach nicht kommen und es ging immer weiter nach oben. Stefan konnte der Landschaft, die eigentlich nur auf großen Fichten bestand, nichts Positives abgewinnen. Wir hatten viel Spaß zusammen und machten Witze, dass die Einheimischen wegen diesem massiven Fichtenüberdruss wohl auf so seltsame Ideen kamen, wie Pilze aus Baumstümpfen am Wegesrand zu sägen. Teilweise war es schwierig sich vor Lachen auf dem Rad zu halten 😁

Das Trailstück vor dem Dreiländereck bewältigten wir noch mit Tages-Restlicht. Wie schon bei meiner Probefahrt hatte mich die etwas rauere Definition von Radwegen in Tschechien erneut erstaunt. Natürlich ging es dann wie befürchtet von Hranice nach Bad Elster gut den Berg hinunter – was tut man nicht alles für seinen Freund bzw. um das Projekt am Laufen zu halten 😉

Das „Hotel König Albert“ war ein vier Sterne Tempel vom Feinsten. Wir nahmen uns an der Bar noch zwei Bier mit aufs Zimmer und duschten erstmal. Da auf unseren Betten sogar Bademäntel lagen, beschloss ich einfach im Bademantel zu schlafen. Wo hat man das schon – Luxus Bikepacking mit Wellness Einlage!

Tag 3 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2518887969

Tag 4 – Purzelbaum mit Radwende vom Fichtelberg & pure Willenskraft

Bad Elster – Bad Schandau (236,85 km / 3.915 hm)

An unserem Rhythmus änderte sich aber nix – ausschlafen im Bademantel mit anschließendem reichhaltigem Frühstücksbuffet war nicht drin. Zunächst ging es dann die gefühlten 300 Bonus-Höhenmeter wieder hoch nach Hranice. Zum Glück fuhr ich vorne, so dass Stefan mein Schimpfen nicht hören konnte. In Adorf fuhr uns dann – wie aus dem Nichts – plötzlich wieder Benni über den Weg. Er hatte es geschafft eine Unterkunft direkt an der Strecke zu finden. Kein Hotel, sondern eine Pension, die den Schlüssel unter einem Blumentopf versteckt hatte und er dann das Geld einfach auf dem Tisch liegen ließ. Das war eine coole Nummer – Respekt! Ach ja, auch Benni hatte aus Gewichtsgründen keinen Schlafsack dabei – aber im Gegensatz zu Stefan immerhin eine Isomatte. Dass ich die Beiden deswegen die nächsten Tage bei jeder Gelegenheit etwas foppte, ließ ich mir nicht nehmen. Schließlich habe ich es ja auch hinbekommen, bei 16,5 kg Radgewicht Biwaksack, Isomatte und Schlafsack unterzubringen. Irgendwie lagen da die Prioritäten bei der Gepäckwahl leicht falsch.

Nach einem gemeinsamen Bäckerstop in Adorf wo es leider nur Süßkram gab, auf den ich so gar nicht stehe, fuhren wir zu dritt plaudernd weiter. Nach vielen weiteren Kilometern im Fichtenüberdruss freute ich mich auf das Highlight meiner Probefahrt: Böhmischen Gulasch mit Knödeln und Rotkraut zum Frühstück direkt hinter der Grenze in Johanngeorgenstadt. Dort beredeten wir auch, wo bzw. wie wir in der kommenden Nacht übernachten wollten. Da die kommende Nacht wieder kalt werden sollte, bestand der Wunsch wieder ein Zimmer zu organisieren. Da sich unser Tagesziel CP3 zu erreichen deckte, war die nächste gute Möglichkeit für ein Zimmer in Bad Schandau schnell gefunden. Stefan suchte am Handy etwas Passendes und Benni war mit seiner eloquenten und charmanten Art dazu auserkoren am Telefon klar zu machen, dass wir extrem spät kommen und ganz früh wieder abreisen wollen. Und tatsächlich hatte das dann auf Anhieb funktioniert. Jetzt mussten wir das Ziel Bad Schandau nur noch erreichen…

Der Anstieg zum Fichtelberg ist recht einfach und landschaftlich sehr schön. Endlich Schluss mit der Fichten-Monokultur. Die Abfahrt ist allerdings alles andere als einfach. Sehr steil und sehr holprig geht es direkt einen Skihang runter. Stefan und Benni, beides gute Abfahrer bretterten mit ihren Mountainbikes vorne raus. An einem sehr steilen Stück gab es auch noch einige Regenablauf-Gräben zu überwinden. Der letzte war so breit und tief, dass ich mir ein Durchfahren oder Drüberspringen nicht zutraute. Also stoppte ich davor und wollte mit dem Rad zwischen Beinen den Graben überwinden. Dabei verlor ich mein Gleichgewicht und fiel hin. Das Rad lag auf einmal auf mir und ich rutschte etwas den Hang runter. Bis auf einen leicht geschwollenen Ellenbogen, leichten Schürfstellen an der Hüfte und leichten Verdrehungen am Lenker, war aber sonst zum Glück alles in Ordnung. Es zeigte mir auf jeden Fall, dass hier nichts selbstverständlich ist und dass eine winzige Kleinigkeit ausreicht, um alles zum Kippen zu bringen.

Ich richtete den Lenker wieder ganz grob und machte mich auf den Weg die anderen einzuholen. Die waren nämlich schon weit enteilt, weil sie von meinem Sturz nix mitbekommen hatten. Nach einer Weile hatte ich sie dann wieder eingeholt und konnte sogar an einem Anstieg meinen lockeren Lenkeraufsatz wieder mit Werkzeug festschrauben. Nochmal Glück gehabt und mit dem Schreck davongekommen.

Nach einem Supermarkt-Stopp in Olbernhau und relativ einfachem Gelände, wartete nach dem „Georgenfelder Hochmoor“ noch der subjektiv härteste Teil der gesamten Strecke auf uns. Rough Stuff in Hülle und Fülle. Trails ohne Ende, grausame tschechische Waldwege, ein stetes Auf und Ab und das im letzten Tageslicht bzw. hauptsächlich im Dunkeln. Die Konzentration nach 13 Stunden im Sattel hierfür ist echt eine Herausforderung. Ich begegnete diesem Umstand, in dem ich möglichst mit Schwung und Druck an die Sache ran ging. Im Lullertempo hätte ich mich besser gleich schlafen gelegt. Da ich wusste, dass ich in der Unterkunft meine Akkus laden konnte, nutzte ich die Flutlichtstufe meiner Lupine so gut wie möglich. Diese 40 Kilometer haben nochmals wirklich alles gekostet, was wir zu bieten hatten. Unverantwortlich, unvernünftig aber auch irgendwie geil als wir dann durch waren.

Am CP3 machten wir nur ein kurzes Foto im Dunkeln, um den Nachtschlaf von Torben bzw. dem Team Dänemark, die sich direkt am Checkpoint hingelegt hatten, nicht zu sehr zu stören. Nach Bad Schandau ging es dann zum Glück etwas einfacher und meist auch nur bergab. Da sich alles etwas länger gezogen hatte als erwartet, kamen wir erst gegen 1:00 Uhr an unserer Unterkunft an. Benni hatte das am Telefon super hinbekommen und die Unterkunft setzte mit Kronleuchtern und anderem Schnick-Schnack unser High-End Wellness Bikepacking in mondänen Kurorten stilvoll fort. Wir hatten viel zu lachen und Stefan kochte uns mitten in der Nacht noch eine Packung Nudeln, die er zufällig im Schrank fand – leider nur mit Salz und Olivenöl – aber was haben mir diese Nudeln genial geschmeckt! Benni wurde zum Abspülen eingeteilt – echtes Bikepacker WG Leben halt.

Da wir so spät zu Bett sind haben wir die Weckzeit etwas verschoben – aber trotzdem galt vier Stunden Schlaf mussten ausreichen.

Tag 4 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2521852659

Tag 5 – Einfacher wird es wohl erst auf Rügen…

Bad Schandau – Reudnitz (222,69 km / 1.727 hm)

Ab der Elbe waren wir jetzt definitiv im persönlichen Neuland unterwegs. Wir konnten auf keine Erfahrungen von Probefahrten mehr zugreifen und freuten uns beide tierisch darauf, neue Landschaften zu entdecken. In der zurückliegenden Nacht war ich, vermutlich von dem sehr stressigen letzten Abschnitt, noch sehr aufgedreht und konnte nicht so gut schlafen wie sonst. Außerdem schmerzte am Vortag gegen Ende mein Hinterteil von dem elenden Grobschotter Gehoppel zunehmend. Beim Duschen habe ich die Lage im Sitzbereich mal analysiert und bis auf einen oberflächlichen & offenen Pickel nix wirklich Besorgnis erregendes gefunden. Das freute mich, denn es wurde so langsam greifbar, dass ich diese Tour schaffen könnte.

Aber wenn man denkt, dass es nach „großen“ Bergen deutlich einfacher würde, liegt man falsch. Wir hatten das auch schon aus Ben’s Strava Aktivität vom letzten Jahr rausgelesen, denn sein Schnitt ging nur ganz leicht nach oben.

Der erste „False Friend“ sind die kleinen Hügel durch die Oberlausitz. im Höhenprofil sehen sie echt niedlich aus. Dass das aber viele verblockte steile Schieberampen sind, sieht man so nicht. Wir kamen wieder fast nicht vom Fleck und Wasser gab es dort auch keines.

Als wir mal wieder kurz durch Tschechien kamen, wurde der Weg wieder schlagartig schlechter und bei Benni schoss eine Dichtmilch Fontäne aus dem Hinterrad. Leider war das Loch zu groß und die Milch konnte es nicht schließen. Da es wenig Sinn macht ein plattes Rad zu dritt zu versorgen, fuhren Stefan und ich weiter – Benni würde schon nachkommen.

Der Tag wurde wärmer und wärmer und wir hatten immer noch kein Wasser gefunden. Ich hatte richtig Durst und die Flaschen waren bis auf einen Not-Reserve-Rest leer. Also fragten wir im nächsten Ort an Häusern, wo wir Leute sahen, ob wir Wasser bekommen könnten. Am ersten Haus bekam ich dann auf meine Frage eine direkte Abfuhr: Nein. Hatte ich bisher so auch noch nicht erlebt – andere Gebiete andere Leute 😉 Immerhin funktionierte es am zweiten Haus und wir bekamen zusammen eine Flasche Wasser mit Himbeergeschmack.

Kurz danach fanden wir noch eine kleine Tankstelle mit Shop und eröffneten die Eis-Saison: Für jeden von uns 3-4 Eis und viel süße Drinks. Das war Energie, die wir dringend brauchten und die direkt ins Blut ging!

Vor Bad Muskau gab es dann unsere erste größere Navigationspanne. Ich hatte in einer Apotheke in Bad Muskau telefonisch noch mal Nachschub an Astronautennahrung bestellt. Leider habe ich mir den Abbiegepunkt vom Track irgendwie falsch gemerkt und war wegen den hohen Temperaturen auch nicht mehr ganz in der Lage, klar zu denken. Bis wir unseren Fehler bemerkten dauerte es etwas und fünf Bonuskilometer waren das dann auch mindestens.

In der Apotheke mussten sie mich am Telefon auch irgendwie falsch verstanden haben, denn sie hatten Fresubin-Pudding anstatt der üblichen Trinkflaschen bestellt. Egal, Hauptsache neuer Brennstoff! Danach ging es über einen extrem rauen polnischen Radweg entlang der Neiße. Auf der Karte sieht das echt entspannt aus – in der Realität recht spaßfreies Rumgehoppel. Am CP4 sahen wir auf dem Handy, das Benni wieder am Aufholen war. Also machten wir keinen Streß und gönnten uns erstmal einen Fresubin-Pudding mit Studentenfutter Topping – sollte es jemals ein Bikepacker Kochbuch geben, dieser hochkalorische Snack sollte da unbedingt rein. Benni kam dann auch schon recht bald und wir machten uns wieder zu dritt auf den weiteren Weg.

Nach einer Weile waren wir dann ganz tief drin im Sand bzw. der „Hölle des Nordens“. Ich hatte mir nach dem ganzen rauen Grobschotter Gehobbel vorgenommen nicht über den Sand zu schimpfen. Und so nahm ich, was da kam, möglichst tapfer und schweigsam dahin. Immerhin ist Sand für schmerzende Hinterteile deutlich angenehmer, da weniger Gehoppel!

Stefan hatte das Wetter im Blick und meinte, wir bräuchten diese Nacht unbedingt einen Schelter mit Dach, da es nachts mit regnen anfangen solle. Ja, du hast gerade richtig gelesen (!), unser Wellness Eskapaden schienen beendet und auch für die beiden Herren ohne Schlafsack war es wieder vorstellbar im Freien zu nächtigen.

Wir waren in einem wirklich einsamen und extrem schwierigen & sandigen Gebiet unterwegs. Da ich die Nacht zuvor schlecht geschlafen hatte, verlor ich plötzlich den Spaß an der Sache und hatte massive Konzentrationsprobleme. Ich konnte z.B. nicht mehr abwechselnd aufs Navi und nach vorne schauen. Der Kopf muss sich da um ca. 10° Grad neigen – das war mir nicht mehr möglich, weil ich sonst womöglich vor Schwindel vom Rad gepurzelt wäre. Das Hinterrad des Vordermanns halten ging gerade noch so. Ich schilderte meine Situation meinen Mitfahrern und plädierte für einen zeitnahen Schelterstopp. Leider war auf der POI Liste in dieser Gegend nix mehr verzeichnet, was uns nicht wirklich wunderte, da es einfach nix gab. Alle 10 Kilometer kam man mal wieder an eine Ansammlung von Häusern. Aber leider nur bewohnte Wohnhäuser, wo sich kein Shelter ausmachen lies.

Eine weitere Verschärfung in der Dramaturgie brachte einsetzender Regen. Aber ein weiteres Mal meinte es das Schickal extrem gut mit uns. In der nächsten Häuseransammlung mit dem Namen „Reudnitz“ machte ich mit meinen geschulten Randonneur-Augen ein unbewohntes Gemeindehaus aus. Auf der Rückseite fand ich dann noch eine überdachte ca. sechs Meter lange Veranda. Perfekt für drei Bikepacker mit ihren Rädern in Reih und Glied! Unser Tageskilometerziel hatten wir zwar nicht erreicht, aber ich war komplett „durch“ und konnte einfach nicht mehr. Und am nächsten Tag war ja auch noch ein Tag!

Tag 5 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2524940821

Tag 6 – Entering Racemode

Reudnitz – Stravenhagen (282,07 km / 1.273 hm)

Nach fünf Stunden komatösem Tiefschlaf war ich nach dem Ruf des Handyweckers noch leicht desorientiert. Vor dem Dach tröpfelte der Regen nieder, aber es war recht warm. Das Fahren im Regen machte dann sogar irgendwie Spaß – nach der Dürre der letzten Tage wirkte alles frischer und entspannter. Als wir nach rund 40 Kilometern in Fürstenwalde/Spree noch einen Luxusbäcker zum Frühstücken gefunden hatten, war der Tag schon fast gerettet. Warme Schnitzelbrötchen mit Kraut usw. schmeckten himmlisch gut. Ich sagte zu Stefan: „Ich habe gut geschlafen und gut gegessen und fühle mich wieder fantastisch – lass uns fahren und Kilometer machen. Ich bin zu allem bereit!“

Und in der Tat lief es dann fast wieder wie von selbst. Meine Sitzprobleme hatten sich etwas zurückgebildet – eine Beobachtung, die für mich auch neu war. Als wir dann nach einer Weile noch die beiden Räder vom Team Dänemark vor einem Restaurant stehen sahen, war ich endgültig im Rennmodus angekommen. Diese beiden Plätze wollte ich nicht mehr hergeben. Bisher hatte mich unsere Platzierung nur nebenläufig interessiert. Jetzt aber mit einer Aussicht auf einen Top 10 Platz begann ich so langsam im Rennen anzukommen.

Benni, der eher einen konstanten Reiseradrythmus fuhr, konnte meinem geballten Anstriebswillen nicht so ganz mitgehen. Also verabschiedeten wir uns mal prophylaktisch und ich düste mit Stefan allein weiter. Es folgte der 66 Seen Weg. Ein langes & anspruchsvolles Trailstück mit vielen umgestürzten Bäumen. Dazu kam, dass sich der nasse Sand ins Getriebe und die Bremsen setzte, dass es nur so knarzte und knirschte. Einmal nutzen wir die Zeit an einem Wasserhahn alles mit klar Wasser abzuspülen – richtig besser wurde es aber erst, nachdem der Regen aufhörte und alles ein wenig abgetrocknet war.

Bei einem kurzen Café & Eis-Stopp vor dem Schiffshebewerk Niederfinow sahen wir draußen wieder Benni vorbeiziehen. Trotz unserer Rythmusunterschiede war er prinzipiell genau so stark wie wir. In diesem dünnbesiedelten Gebiet war der Supermarkt in Joachimstal ein wichtiger Versorgungsanker. Mir Stand der Sinn nach etwas Deftigem und so holte ich mir, neben den Vorräten für die weitere Fahrt, eine Packung Würste zum sofort Essen.

Zu dritt fuhren wir wieder weiter. Checkten kurz CP5 und rollten weiter. Stefan stellte irgendwelche Hochrechnungen an und meinte, wenn wir Samstag die letzte Fähre mit etwas Puffer erreichen wollten, müssten wir noch einige Kilometer machen. Mein Kopf war für Rechenspiele nicht mehr zu haben. Meine Beine waren aber immer noch in guter Verfassung und so sagte ich: „Wenn du das so sagst, dann lass uns fahren!“.

In die letzte Nacht wollten wir soweit reinradeln wie es Sinn machte und dann eventuell nur mit kurzen Powernaps die Müdigkeit überwinden. Damit ich nicht müde wurde, musste ich aber mit Druck radeln, denn nix ist einschläfernder als im Lullertempo dahinzurollen. Dabei liebe ich es gerade die kleinen Hügel hochzudrücken und dann entspannt runterzurollen – der klassische Rennradstil halt. Benni der kein Rennradfahrer ist, konnte damit wieder nicht so ganz mitgehen. Und so waren wir bald wieder zu zweit.

Die Entscheidung, wie weit wir in die Nacht reinfahren sollten, wurde uns dann leichtgemacht. Ab 1:00 Uhr fiel die Temperatur rapide um fünf Grad ab. Als wir dann noch einer Dachsfamilie begegneten, die uns lauthals schimpfend zu verstehen gab, dass wir hier nichts verloren hatten, war klar, dass wir etwas zum Schlafen suchen sollten.

Und noch ein letztes Mal erwies sich das Schicksal uns gnädig. Gerade als wir davon redeten, dass jetzt so ein Bankvorraum, der bei den Randonneuren auch unter dem Begriff „EC-Hotel“ geläufig ist, jetzt prima wäre, meinte Stefan, dass in ca. fünf Kilometern ein größerer Ort käme. Und als wir dann in Stravenhagen sogar vor der Frage standen, ob Volksbank oder Sparkasse, konnte ich unser Glück kaum fassen. Es war inzwischen 2:00 Uhr und wir wählten die Sparkasse. Es war ein kurzer Nap auf dem Boden bis zum Sonnenaufgang um 4:00 Uhr geplant. Ich holte nur den Biwaksack aus den Taschen und legte mich hin. Nervig war nur dass das Licht einen sensiblen Bewegungssensor hatte und beim kleinsten Umdrehen den Raum wieder hell erleuchtetet.

Tag 6 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2526952464

Tag 7 – emotionales Sprintfinale

Stravenhagen – Kap Arkona (180,40 km / 720 hm)

Diesen Morgen werde ich sicherlich nie wieder vergessen. Als wir uns um vier Uhr langsam wieder fahrebereit machten, checkte Stefan als Allererstes die Rennsituation am Handy. Plötzlich meinte er, eine Vierergruppe sei die ganze Nacht durchgefahren, hätte Benni eingeholt und nur 10 Kilometer hinter uns. Ich war hellwach – sowas durfte nicht passieren – Alarmstufe rot! Blitzschnell schob ich alles, was ich greifen konnte in den Mund (einen Bounty Riegel und einen Cliff-Bar Riegel) und war in Windeseile startklar. Da es es schon wieder hell wurde und unsere Schlafpause wirklich etwas Erholung gebracht hatte, konnten wir wieder fahren wie die Feuerwehr. Uns wurde schnell klar, falls wir unser Tempo so hoch halten könnten, war niemand mehr in der Lage uns einzuholen. Bei der Umfahrung der ersten Fähre beobachteten wir am Handy, dass die vier Jungs nach ihrer Nachtfahrt ziemlich platt sein mussten. Benni hatte sie schon wieder überholt und der Abstand zu uns wuchs auf eine angenehme Größe an.

Nach einem Bäcker-Stopp mit Fleischsalatbrötchen und viel Kaffee waren wir bereit für den finalen Zielsprint. Die Wege vor Stralsund wurden deutlich einfacher und es gab sogar richtig viel Asphalt zum Runterspulen. Wir, als alte Rennradhasen, waren voll in unserem Element und liessen es flott laufen. Nach einer Weile meinte Stefan dann, „Weißt du wer jetzt auch richtig Streß hat? Der Uwe der nur noch 10 Kilometer vor uns ist.“ Ich lachte mich halb schlapp und drückte weiter aufs Pedal.

Nach nur fünf Minuten sahen wir dann Uwe am Wegesrand stehen. Er hatte Probleme mit seinem Navi und war navigationsunfähig. Irgendwie war er schon ein recht „spezieller“ Fahrer. Sein Körper war auf der einen Seite extrem hochtrainiert und sein Rad mit geschätzten 11 Kilogramm eine Rennfeile schechthin. Auf der anderen Seite war er extrem schlecht auf die Strecke vorbereitet. Er wusste nicht, wo es was zu essen gab und fuhr immer so lange bis er Hunger hatte. Stefan fragte ihn leicht schnippisch, ob eine ausgedruckte POI Liste nicht in sein Gewichtskonzept gepasst hätte 😄

Wir hatten uns schon eine Weile gefragt, wo denn die Schlangenlinie vor uns im Sand herkam. Die Spuren, die wir hinterliessen, waren schnurgerade wie von einer Lok. Als Uwe uns dann erzählte, dass er die ganze Nacht durchgefahren sei, wunderte uns nix mehr. Er hatte vor unserer zweistündigen Schlafpause noch rund 30 Kilometer Vorsprung und muss die ganze Nacht in Schlangenlinien rumgeeiert sein. Dass man die erste Fähre nachts umfahren musste wusste er auch nicht. Unfassbar …

Wir nahmen ihn also ins Schlepptau und fuhren im Schnellzugtempo weiter. Uwe war Baff wegen unseres Tempos und fragte, was mit uns los sei. Wir erklärten ihm, dass uns viele Verfolger dicht auf den Fersen sind und wir Land gewinnen wollten.

Als wir nach Stralsund über die Brücke nach Rügen fuhren und wir das Meer sahen, bekam ich langsam einen echten Kloß in den Hals. Was für ein geiler Scheiß – hoffentlich weckt mich jetzt bloß keiner aus diesem Traum auf.

Bei einem letzten Getränke und Eis Stopp machten wir Uwe klar, dass wir die letzten Kilometer ab der Fähre zu zweit gemütlich ausrollen wollten und kein „Rennerles“ mehr fahren würden. Wir wären über 1600 Kilometer zusammen gefahren und wollten die letzten Kilometer ganz still auf uns wirken lassen. Uwe sah das ein und bog kurz nach der Fähre ab und suchte sich seinen eigenen Weg zum Leuchtturm.

Kurz vor dem Kap wartete mit einem weiteren tiefen Sandstück die letzte Herausforderung der Strecke auf uns. Ich lachte mich halb schlapp weil ich mir Gedanken darüber machte was wäre wenn man hier ans Aufgeben dächte.

Plötzlich war da dieser Leuchtturm in der Ferne und dann ging es auch ganz schnell. Stefans Freundin Susanne erwartete uns am Kap und wir lagen uns dann schließlich mit Tränen in den Augen in den Armen. So etwas alleine zu meistern ist eine echte Wahnsinnsleistung – aber das zu zweit als Team zu meistern macht das Erlebte unserer Meinung nach nochmals um vieles Größer. Geteilte Freude ist doppelte Freude – geteilter Erfolg ist doppelter Erfolg.

Tag 7 auf Strava: https://www.strava.com/activities/2528183379

Rennfazit

Eine Riesenfreude hat es mir gemacht das erste Mal selbst mit einem Tracker unterwegs zu sein und zu einem Punkt am Bildschirm zu werden. Viele Events zuvor habe ich voller Ehrfurcht und zum Teil auch klugscheissend als Dotwatcher vorm PC verfolgt. Ich hatte den BTG-Tracking-Link vorab an Bekannte, Freunde, Kollegen und Familie verschickt. Man kann ja „Nicht-Radfahrern“ immer nicht so ganz klar machen, was man sich über die Jahre angeeignet hat und zu welchen Leistungen man in der Lage ist. Das war hier durch die Transparenz des Trackings anders und jeder konnte sehen wie man sich schlägt.

Da dies erst mein zweites „echtes“ Radrennen war, waren ich, und vor allem Stefan, überrascht wie gut ich gegen Ende die „Rennsau“ spielen konnte. Stefan, der früher schon einige Rennen gefahren ist, meinte immer, dass ich für Rennen wohl zu nett bin und mir ein wenige der Biss fehlen würde. Auf Rügen musste er diese Aussagen dann komplett zurücknehmen 😃 Damit meine ich vor allem die Abwehr der nächtlichen Vier-Mann-Attacke und das wir das starke Team Dänemark nicht mehr herankommen liessen. Das wir nicht zusammen mit Benni ins Ziel kamen lag hauptsächlich an den Rhythmus-Unterschieden und war keine taktische Finte. Das Ziel-Bier unterm Leuchtturm hatten wir dann ja wieder zu dritt.

Unser Ziel war es von Anfang an, wenn möglich die letzte Fähre am Samstagabend zu erreichen und somit gut unter einer Woche zu bleiben. Mit 6 Tagen 6 Stunden und 18 Minuten haben wir uns da dann aber noch deutlich übertroffen. Mit Platz 7 sind wir sogar ganz stabil in die Top 10 vorgefahren. Ein Resultat, mit dem wir als Bikepacking-Renn-Rookies mehr als zufrieden sind.

Nach etwas Suchen habe ich dann sogar noch eine Kategorie gefunden, in der ich einen Rekord für mich beanspruchen kann. Ich habe die bis dato schnellste Zeit auf einem Gravelbike eingefahren. Zwar ist die Vergleichbarkeit über verschiedene Jahre nicht ganz fair und es geht dabei auch nur um Minuten – aber egal – Rekord ist Rekord!

Ach ja, ich bin auch überglücklich, dass wir komplett ohne Pannen und (ernsthafte) Verletzungen durchgekommen sind. Bei der Streckenlänge und dem rauen Gelände war das alles andere als selbstverständlich. Zudem hatte ich als Tubeless Neu-Umsteiger gehörigen Bammel vor Reifenproblemen.

Frequently Asked Questions – FAQ

Nicht das man jetzt denkt ich wurde schon mit unzähligen Fragen überhäuft, aber so ein Bericht mit einem FAQ-Abschnitt sieht einfach professioneller aus. Außerdem kann ich so noch ein paar unstrukturierte Gedankenfetzen recht einfach unterbringen. Und falls noch echte Fragen nach diesem Bericht offen bleiben sollten, benutze gerne die Kommentarfunktion unter dem Bericht!

War es ein Vorteil die Strecke zu zweit zu fahren?

Ja, ich denke schon. Hatte der eine einen Tiefpunkt, konnte der andere für beide denken und den anderen mitziehen. Alleine fahren ist sicherlich auch eine recht einsame Geschichte. Andererseits muss man zwar auch für die Gepäckprobleme seines Mitfahrers einstehen und die daraus resultierenden Zusatzkilometer mitfahren. Aber unterm Strich ist es etwas ganz Tolles, so etwas gemeinsam durchzuziehen. Man darf aber dabei nicht vergessen, dass es auch einige Jahre bzw. viele Kilometer dauert bis man sich so einen „phasengleichen“ (Rad-)Freund aufbaut, mit dem nahezu alles zusammenpasst. Mit einer Anzeige z.B. in der Bäckerblume „Suche BTG Mitfahrer“ kommt man da sicherlich nicht sehr weit 😆

Ich finde es super, dass man bei BTG zusammenfahren darf und hoffe, das dies auch in Zukunft so bleiben wird.

Wie war die Strecke mit einem Gravelbike zu fahren?

Man muss ganz klar festhalten, dass die Strecke eine Mountainbike Strecke ist. Neben vielen einfachen Schotterpassagen gibt es aber auch ganz viele sehr raue und fordernde Wege zu bewältigen. Darunter auch richtig verblockte Trails. Aber mein Rad war mit seinen 47 mm breiten 650B Reifen und der Lauf Federgabel auch ganz klar für den rauen Offroad Einsatz zusammengestellt. Ich wollte die Strecke nicht mit Starrgabel oder Reifen schmaler als 40 mm fahren müssen. Aber mit meinem Gravel-Racer war ich rundum zufrieden und würde es rückblickend alles wieder ganz genauso machen.

Wo liegen die Unterschiede zwischen Brevets und Bikepacking Events?

Offroad Bikepacking ist viel mehr Abenteuer und weit weniger planbar als Brevets auf der Straße. Die Mathematik auf Asphalt reduziert sich fast ausschließlich auf die Höhenmeter. Auch die Witterung spielt auf der Straße nicht so eine große Rolle – im Gelände können sich die Fahreigenschaften dabei ganz drastisch ändern.

Wir waren beide fasziniert, wie gut der Rhythmus mit ca. vier Stunden Schlaf pro Nacht funktioniert. Man eiert lange nicht so verpeilt durch die Gegend wie bei einem Brevet mit maximalen Schlafverzicht. Es wäre für uns vorstellbar gewesen diesen Rhythmus noch ein paar weitere Tage durchzuziehen.

Der Versorgung mit Wasser und Essen musste auch viel mehr Augenmerk geschenkt werden als wir es von der Straße kannten. Solche langen Abschnitte ohne Versorgungsmöglichkeiten findet man in Mitteleuropa auf der Straße (fast) nicht.

Außerdem macht auch schon die Vorbereitung auf einen Bikepacking Event viel mehr Spaß. Man hat so viel mehr an Material wie z.B. der Schlafausrüstung, den Taschen usw. auszuwählen und zusammenzustellen. Das war ein richtig schönes Projekt, welches mir viel Spaß gemacht hat!

Wie zufrieden warst du mit deinem Material bzw. der Ausrüstung?

Wer mich kennt weiß, dass ich ein zur Perfektion neigender Rad-Nerd bin. Viele Stunden habe ich mit der Materialauswahl und Optimierungen verbracht. Und es hat alles so funktioniert wie ich es mir vorgestellt habe. Das Mason BokehTi ist der erfahrbare Traum eines Gravel Rades. Speziell mit der Lauf Gabel und der Thudbuster eeSilk Sattalstütze werden selbst raue Untergründe angenehm fahrbar. Ich mochte den Rennradlenker und war auch immer wieder auf dem Aero Aufsatz gelegen. Die Taschen der Apidura Race-Line passen wie maßgeschneidert an das Rad und waren von der Größe optimal für meine Gepäckstrategie. Das Gepäck war schön gleichmäßig verteilt und das Rad war fast so gut zu fahren wie unbeladen. Ich hatte unterwegs, bis auf das Reparaturmaterial, alles, was ich dabei hatte, in Verwendung.

Sind dir noch weitere Vermarktungs-Strategien für BTG in den Sinn gekommen?

Ja durchaus! Mir kam in den Sinn, dass man das Ganze auch als Intensivkurs für die Radbeherrschung vermarkten könnte. Man lernt sein Rad Schritt für Schritt auf jedem vorstellbaren Untergrund sicher zu beherrschen. Es steigert sich dann recht schnell in Aufbauthemen wie: Nightride für Fortgeschrittene, Telefonieren beim Trailfahren, Lachgummies auf Wurzeltrails essen usw.

Besonders die Skills, wie man die losen Sandpassagen bewältigt, haben sich bei uns rapide ausgeprägt. Niedrige Trittfrequenz, hoher Druck auf dem Pedal und dann nur aus der Hüfte heraus die Spur halten ist dabei die Königsklasse 🤣

Willst du die Strecke nochmals fahren?

Durch die Rauheit der Strecke ist bei Stefan und mir der Wunsch nach einer Wiederholung sehr sehr gering. Auch von anderen Mitfahrern habe ich ähnliche Aussagen vernommen. Es gibt noch so viele andere schöne Strecken und Herausforderungen, die auf uns warten. Wie in der Einleitung schon geschrieben – es „Bleibt Alles Anders“ ist ein prima Motto – ich bin selbst gespannt wo die Reise hingeht 😏

Links

Flickr Fotoalbum mit vielen weiteren Bildern:
https://flic.kr/s/aHsmFgKSHY

Offizielle Ergebnisliste:
http://www.baselona.de/de/ergebnisse-2019/

Benni’s Blog mit seinem Bericht:
https://www.velospektive.net/

PS: Danke Stefan!

7 Kommentare zu „Bikepacking Trans Germany 2019

  1. Moin aus Eutin,

    danke für den Bericht. Bikepacking abseits der Straßen- eine gute Alternative nach all den Jahren Brevet fahren. PBP für mich auch in diesem Jahr nicht und überhaupt sind die Brevets in Italien so viel besser. 2020 Mille Miglia!? Ich fahre in diesem Jahr beim Eifel- Graveller mit. 7 Tage quer durch Deutschland hört sich auch gut an- ist ,mir aber im Moment zeitlich zu aufwändig.

    Nun ja. Viel Spass weiterhin

    gruss Gerald

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