Broken Dreams

Bericht zu Paris-Brest-Paris 2011

PBP ist das „Cœur de Randonnée“ welches mich 2007 so fasziniert hat, dass ich 2008 mit dem Brevet fahren angefangen habe. Nun vier Jahre später bin ich tatsächlich selbst dabei. Und die Veranstaltung ist real noch faszinierender als ich sie mir vorgestellt hatte. Am Samstag beim Bike-Check bekam man einen ersten Eindruck der internationalen Atmosphäre und der Dimension des Events. Auf unserem Campingplatz in Versailles war über die Hälfte der Plätze an Randonneure vergeben und es lag eine deutliche Anspannung in der Luft. Viele schraubten noch an ihren Rädern rum oder drehten eine letzte Trainingsrunde.

Ich hatte mich für die 80 Stunden Gruppe angemeldet und meine Startzeit war Sonntags um 16:00 Uhr. Da die 1200 Starter dieser Gruppe in 400er Gruppen mit ca. 20 Minuten Zeitversatz gestartet werden sollte stellte sich mir die Frage, wann ich mich denn für den Start aufstellen sollte. Da ich Lust darauf hatte mit der ersten Gruppe loszufahren und es ja egal ist ob man auf dem Campingplatz oder in der Start-Warteschlange wartet reihte ich mich schon um 13:00 Uhr ein. Mein Freund Stefan war auch schon da. Es war 34° Grad heiß und wer clever war hatte sich eine zusätzliche Trinkflasche für die Wartezeit mitgebracht. Gegen 15:30 Uhr standen wir dann vor der Startlinie umsäumt von unzähligen Zuschauern.

Nach dem, um ein paar Minuten verzögerten, Start ging es gleich richtig flott los. Dass die ersten Kilometer wie bei einem kurzen Radrennen gefahren werden hatte ich schon zuvor gelesen, dass wir aber gleich mit 40km/h losfuhren überraschte mich doch. Nach drei Stunden in der Sonne rumstehen hatte ich meine Schwierigkeiten mit diesem Tempo. Nach einer Weile hatte ich aber meinen Rhythmus gefunden. Da der Wind von rechts vorne kam und jeder nur Windschatten lutschen wollte befand sich das Feld oft komplett auf der linken Straßenseite. Die Begleit-Motorräder scheuchten die Fahrer immer wieder auf die rechte Straßenseite zurück. Ich hatte kein Bock auf dieses doofe Spiel und fuhr deshalb lieber demonstrativ am rechten Straßenrand im Wind.

Die mit 140km längste Etappe zur ersten Verpflegungsstelle lies bei allen die Getränkevorräte zur Neige gehen. Die Franzosen riefen immer wieder „Eau, eau, eau“ wenn man Straßenrand Leute standen und hofften eine Flasche Wasser abgreifen zu können. Auch mein Vorrat an 3 Litern im Camelbak und 1 Liter in der Trinkflasche, welche eigentlich für 200km geplant waren, waren am Ende restlos leer.

Nach dem Auffüllen ging es auch schon gleich weiter. Eine Weile fuhr ich mit einer sehr angenehm fahrenden Gruppe Dänen. Wir kreiselten zusammen im belgischen Kreisel durch die beginnende Nacht. Immer wieder holten wir andere ein und so wurde unsere Gruppe immer größer. An die meisten Details der Nacht kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Ich war aber stets mit größeren recht flotten Gruppen unterwegs. Am Morgen in Loudéac freute ich mich sehr Stefans Rad an der Kontrolle zu sehen. Und tatsächlich traf ich ihn dann auch noch beim Essen an. Gemeinsam machten wir uns wieder auf den Weg. Es begann dann etwa für eine Stunde etwas zu regnen, was aber nicht weiter störte.

Nach der Kontrolle in Carhaix erklommen wir gemeinsam den Roc’h Trévezel. Das Tempo war recht gemütlich denn wir merkten die flotten 500km schon etwas in den Beinen. Dass es sich nach der Abfahrt noch ca. zwei Stunden bis Brest hinzieht war mir aus diversen Berichten bekannt und so war ich darauf vorbereitet. Irgendwann fuhr uns die dänische Gruppe auf. Auch ihnen waren die gefahrenen Kilometer anzumerken aber sie fuhren immer noch sehr schön gleichmäßig. Die Brücke vor Brest erreichten wir kurz vor 15:00 Uhr. Das war über eine halbe Stunde schneller als ich mir in meiner, eh sehr optimistisch gehaltenen, Marschtabelle vorgesehen hatte.

Am Anstieg zur Kontrolle nach Brest zeichneten sich das erste Mal Probleme bei mir ab. Ich fühlte mich platt und konnte den anderen nicht mehr folgen. Mein Kreislauf war im Keller und ich musste mich in der Verpflegungsstelle erst mal fünf Minuten auf den Boden legen. Als wir uns was Warmes zu essen holten war mir in der Warteschlange so schwach und schwindelig, dass ich mich fast nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Nach etwas Reis und Nudeln legte ich mich nochmal fünf Minuten auf den Boden. Nach einer Weile sammelte ich meine Gedanken und motivierte mich für die Weiterfahrt.

So ging es mit Stefan wieder zurück in Richtung Paris. Doch ich war immer noch völlig im Eimer. Mein sonst hervorragend arbeitender Dieselantrieb war nicht wiederzuerkennen. An den kleinsten Steigungen pochte mein Herz so deutlich spürbar, als wolle es herausspringen. Und meine Atmung war kurzatmig wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Ich fuhr ab sofort vor Stefan her, in dem Tempo, welches ich gerade noch fahren konnte. Ich musste aber sobald es nur ein wenig steiler wurde auch immer mal kurz anhalten um durchzuatmen. Nun war es an der Zeit sich eine Krisen-Strategie zurechtzulegen. Als einzige Lösung erschien mir ein paar Stunden zu schlafen. Umdrehen nach Brest war ausgeschlossen. Die Variante mit dem Biwaksack im Wald zu schlafen bestand ebenso wie ein Hotel zu suchen. Wir entschieden uns aber es bis zur nächsten Kontrolle in Carhaix zu schaffen und dort zu schlafen.

Ich konnte meinen Zustand nicht einordnen und hatte so was noch auf keinem anderen Brevet erlebt. Die einzige Erklärung schien mir die erste Hälfte der Strecke doch zu schnell angegangen zu sein. Zu wenig gegessen zu haben konnte ich mir nicht vorstellen, da ich schon deutlich mehr Carbo-Pulver getrunken hatte als vorgesehen. Außerdem hatte ich auch unterwegs immer wieder was gegessen. Trotzdem versuchte ich mit einem Gel und vielem Trinken aus dem Camelbak weitere Energie aufzunehmen.

Vor dem Anstieg zum Roc’h Trévezel hatte ich auch noch einen Platten. Wenn es mal dick kommt, dann richtig. Mein lieber Freund Stefan wechselte mir den Schlauch und ich sollte mich ausruhen. Den Anstieg schaffte ich dann mit einigen weiteren Verschnaufpausen. Kurz vor dem Gipfel begann es zu regnen. Auf einmal fuhr Stefan an mir vorbei und schaute mich an. Er meinte er wollte auch mal mein Gesicht sehen, weil mich alle Zuschauer an der Strecke so entsetzt anstarren würden!

Auf der Abfahrt wurde mir dann durch den Regen noch richtig kalt, die Müdigkeit setzte das erste Mal ein und leicht schwindelig wurde mir auch noch. Also anstatt das sich die Lage zumindetstens ein klein wenig stabilisieren würde, geriet sie nun völlig außer Kontrolle. Ich konnte mich nicht daran erinnern schon mal so auf dem Rad gelitten zu haben. Ich hatte für mich die Grenze des Erträglichen überschritten und befand mich nun in einer Art Überlebensmodus. Mir war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass hier auch keine drei Stunden Schlaf mehr was ändern könnten und mein Entschluss in Carhaix aufzuhören stand quasi fest. Wenn es nur noch 100km bis Paris wären hätte die Sache eventuell anders ausgesehen, aber ich hatte ja noch über 500km zu fahren.

Die Strecke wurde wieder hügeliger und Carhaix schien einfach nicht näher zu kommen. Alleine am letzten Anstieg zur Kontrolle (~70hm) musste ich noch mindestens drei Verschnaufpausen einlegen. Als ich dann endlich an der Kontrolle war, schloss ich mein Rad an und machte beide Taschen ab. Schließlich richtete ich mich auf einen längeren Aufenthalt ein. Nach dem Abstempeln zog ich meine Radschuhe aus und legte ich mich an der erstbesten Ecke im Verpflegungsraum auf den Fußboden. Zum ersten Mal kam mein Mini-Biwaksack, den ich mir noch vor PBP gekauft hatte, zum Einsatz. Mir wurde schön warm und so schlief ich erst mal.

Als ich wieder wach wurde kamen gerade einige andere Freiburger Randonneure aus der 84 Stunden Gruppe an. Meine Aussage, dass ich aussteigen wollte führte zu Verwunderung. Mir war es aber auch nicht möglich gewesen, die letzten 85km verbal zu beschreiben noch konnte ich eine passende Erklärung dafür liefern. Alle wohlgemeinten Worte konnten keine Änderung meiner Entscheidung mehr herbeiführen. Denn schon auf den paar Schritten zum Klo spürte ich mein pochendes Herz und meine Kurzatmigkeit wieder.

In der Nacht fuhr Stefan dann alleine weiter. Ich wusste nicht, was ich ohne ihn auf der letzten Etappe gemacht hätte. Ich gab ihm noch meinen restlichen Vorrat an Carbo-Pulver mit auf den Weg. Ich legte mich dann in ein ruhigeres Nebenzimmer und schlief nochmal etwas. Noch bevor es hell wurde gab ich meine Stempelkarte ab um die Entscheidung unumkehrbar zu machen.

Bei der ersten Helligkeit fuhr ich den letzten Kilometer zum Bahnhof. Und da merkte ich das erste Mal, dass ich starke Sitzbeschwerden hatte und fuhr komplett im Stehen. Am Bahnhof musste ich dann noch eine Radtasche kaufen und das Rad darin verpacken. Denn im TGV dürfen wie im ICE keine Räder transportiert werden. Diese demütigende Handlung mussten bis zur Abfahrt des Zuges sechs weitere Radler vollziehen. Die Rückfahrt im TGV war wegen sehr vielen Passagieren recht stressig aber zum Glück auch recht zügig.

Als ich dann wieder am Campingplatz angekommen war, konnte ich erstmals den Grund meines Leistungs-Einbruches rekonstruieren. Unter der Dusche stellte ich fest, dass ich einen großen eitrigen Abszess am Hintern hatte. Ich hatte zwar vor dem Start noch geduscht, aber irgendwie haben sich da Bakterien in meiner Hose gesammelt die ich 600km plattgeritten habe.

Dadurch waren auch endlich meine Symptome erklärbar. Mein Körper ist vor Brest dazu übergegangen die eitrige Entzündung zu bekämpfen und dafür alle Energie zu verwenden! Deshalb blieb zum Radfahren nix mehr davon übrig. Da mir bisher nach 600km immer der Hintern wehgetan hat, hab ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gespürt, dass es stärkere Sitzbeschwerden als sonst sind.

Zunächst war ich sehr froh, dass ich die Signale meines Körpers richtig erkannt und die einzig richtige Entscheidung gefällt hatte. Ich will nicht wissen wie das ausgesehen hätte, wenn ich weitergefahren wäre. Erst die folgenden Tage machte sich eine tiefe Traurigkeit breit meinen Traum nicht erreicht zu haben.

Fazit: Wie schon länger bekannt und befürchtet sind (eitrige) Sitzprobleme meine persönliche Schwachstelle beim Lanstreckenradeln. Mit dem Luftsattel hab ich zwar schon das meiste in den Griff bekommen. Aber man lernt ja nie aus und so bin ich nun über eine schmerzhafte Erfahrung reicher. Dass dies ausgerechnet bei PBP war macht mich schon traurig. Zukünftig werde ich wohl Feuchttücher oder ähnliches mitnehmen und mich alle 200km im Sitzbereich reinigen. Ein anderer Tipp war mal eine Hose OHNE Polster zu testen. Denn das Polster saugt sich mit der Zeit voller Bakterien. Es gibt also genug auszuprobieren in den vier Jahren bis zum nächsten PBP. Auf den ersten 600km hatte ich trotzdem viel Spaß gehabt und konnte das Ereignis PBP genießen.


9 Kommentare zu „Broken Dreams

  1. Hi Tilo,

    die Entscheidung war letztlich unausweichlich und du kannst froh sein, dass du sie noch selber treffen konntest.

    Die Eindrücke die du gewonnen hast nimmt dir niemand und bleiben für immer!

    Servus
    Johannes

  2. Hi Tilo

    Sei nicht zu traurig, ich kann das voll nachempfinden, Du bist noch jung, das kannsch noch öfters machen.
    Trotz aller Probleme, wahnsinnige Leistung von dir, Hut ab!

    Grüße Huby

  3. Hi Tilo,

    ich ziehe den Hut vor den starken ersten 600km und noch viel mehr vor der Entscheidung, abzubrechen. Ich hoffe, ich habe in einer ähnlichen Lage auch die Stärke. Die Grenze zwischen „etwas geht noch“ und dem Ergebnis, dass der Körper es einem ewig übel nimmt, scheint in solchen Phasen körperlicher Belastung sehr fließend…

    Grüße
    Clemens

  4. Hallo Tilo,
    Du hast auf dieser Tour (und wahrscheinlich nicht nur auf dieser) das Wichtigste überhaupt gelernt und beachtet: Auf die Signale des Körpers zu hören. Respekt vor der Entscheidung. Stell sie nachträglich nicht mehr in Frage.
    Broken Dreams: Erst ein erfüllter Traum ist endgültig gestorben. Ein unerfüllter Traum möchte weiterleben.
    In diesem Sinne freue ich mich, Dich in nicht allzu ferner Zeit wieder zu sehen.

    Weiterhin viele schöne Sonnenaufgänge und Morgenstimmungen, liebe Grüße

    Urban

  5. Ich denke, so eine Langstreckenfahrt wie PBP sagte einiges über einem selbst viel aus! Durchkommen ist schon allein bewundernswert, aber eine Entscheidung zu fällen wie ein Abbruch ist für mich noch bewundernswerter, da man nicht stur bis zum Umkippen es durchzieht. PBP ist zwar toll, aber es ist nicht das Leben! Und man nimmt dennoch was mit!

    liebe Grüße aus Wien

    Alexander

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