Kontrollfragen

Bericht zum Jura-Brevet (600km) am 21.05.2011

Mit der richtigen Beantwortung einer Kontrollfrage erbringt man auf einem Brevet den Nachweis, dass man an einer bestimmten Stelle vorbeigeradelt ist und keine Abkürzung genommen hat. Solch eine Frage lautet z.B. „Was steht auf dem Schild an Stelle X“ oder auch „Wie heißt die Fabrik an Stelle Y“. Die Antwort trägt man dann mit einem Kugelschreiber auf seinem Brevetkärtchen ein. Beim Jura Brevet gab es auch dieses Jahr eine solche Kontrollfrage kurz vor dem zweiten Berg. Neben dieser eindeutig definierten Kontrollfrage drehten sich während des Brevets viele Gedanken in meinem Kopf darum, wie und ob man eine Langstrecke, wie einen 600 Kilometer Brevet, „kontrolliert“ fahren kann und in wie weit man unterwegs die Kontrolle über sich selbst, seine Ausrüstung und sein Rad hat.

Die Kontrollfrage ob man genügend trainiert hatte konnte ich dieses Jahr für mich gleich mal abhaken. Auch war vor dem Start des Brevets mein allgemeiner Gesundheitszustand, bis auf den leichten Heuschnupfen, gut unter Kontrolle. So ging es dann um kurz nach 8:00 Uhr mit den Glückwünschen meiner Family & Friends, die zum Start an den Augustiner gekommen sind, ganz kontrolliert im geschlossenen Verband los.

Am Start

Bis zur ersten Stempel-Kontrolle nach 108 Kilometern wurde die Sonne immer wärmer und der Himmel war (noch) wolkenlos. Der erste Berg war schön bewaldet und ich war am kühlen Schatten froh. Die folgende Abfahrt hatte ich vom letzten Jahr noch in keiner guten Erinnerung. Um auch hier die Kontrolle zu behalten wählte ich die Taktik mit etwas Abstand als erster in die Abfahrt zu gehen um unten nicht wieder völlig abgehängt zu sein. Die Taktik ging auf und ich kam als letzter der Gruppe unten noch in Sichtweite der anderen an. Eins steht aber fest: Diese Abfahrt mit ihren unzähligen engen Kurven und ich werden niemals Freunde werden 😉

Um den Flüssigkeitshaushalt unter Kontrolle zu halten mussten die Trinkflaschen an diversen Brunnen aufgefüllt werden. Da viele Fahrer immer noch relativ dicht zusammen waren mischten sich die Gruppen immer wieder neu. Die meisten Mitfahrer waren die „üblichen Verdächtigen“ aus den bisherigen Brevets in Freiburg.

Den zweiten Anstieg nach Maiche bezwang ich zusammen mit Klaus in kontrolliert moderatem Tempo. Aber es wurde so langsam richtig warm und am nächsten Anstieg nach La Chaux des Fonds wurde es noch ziemlich schwül. Diese Bedingungen setzten mir ziemlich zu und ich begann so langsam die Kontrolle zu verlieren. Von hinten flogen Mitfahrer scheinbar mühelos an mir vorbei und ich konnte dem nichts entgegensetzen.

Besonders schlimm wird die Lage immer dann, wenn man seinen Kopf nicht mehr unter Kontrolle hat. Fragen wie „Was mache ich eigentlich hier?“ sind erste Anzeichen eines aufkommenden Kontrollverlustes. Die steile Autobahn nach Vue des Alpes war von einem Gewitterregen nass und die Sonne verwandelte die Luft in eine fast unerträgliche Sauna. Endlich an der Kontrolle in Vue des Alpes angekommen war ich platt und leer. Zunächst wurden die Speicher mit Cola, Tee und einem Stück Kuchen etwas gefüllt. Danach hab ich, den inzwischen leeren, Camelbak mit 300 Gramm Carbopulver und Wasser wieder beladen.

Nach 200 Kilometern war es nun an der Zeit sich eine Strategie zurechtzulegen um den Rest der Strecke zu bewältigen. Ich wählte die mir sicherste Variante und wartete bis sich die nächste größere Gruppe in Bewegung setzte. Mit Walter und acht anderen ging es dann weiter. Trotz des kräftigen Rückenwindes, der uns durch die schönen Jura-Täler schob, war ich immer noch etwas angeschlagen. Erst ab Pontarlier kam so langsam das Gefühl zurück die Lage wieder unter Kontrolle bekommen können. Nach einem kurzen Supermarkt-Stop in Pontarlier fuhren wir direkt in ein Gewitter hinein. Starkregen lies Erinnerungen an das letzte Jahr aufkommen.

Als Randonneur muss man ja auch seine Gepäck-Strategie unter Kontrolle haben. Nimmt man Sachen mit die man nicht braucht, muss man unnötigen Ballast die Berge hochschleppen. Hat man zu wenige Sachen dabei muss man evtl. frieren. Und ich hatte dieses Mal das Wetter zu optimistisch eingeschätzt und auf eine dicke Jacke verzichtet. Sollte meine hauchdünne Regenjacke die Lage wieder außer Kontrolle bringen? Ich erinnerte mich an diejenigen, die letztes Jahr wegen zu wenig Kleidung bei dieser Strecke abbrechen mussten. Aber noch war mein Körper auf erträglicher Betriebs-Temperatur.

In Champagnole begann ich dann an der Kontrolle beim warten auf die Pizza zu frieren und zu zittern denn ich war komplett durchnässt. Doch ein heißer Tee und die Pizza halfen etwas. Wir sahen am Himmel immer noch viele dunkle Wolken und fragten uns, ob wir da durch müssen? Ich zog alles an was ich dabei hatte und startete mit nun sechs Mitfahrern in die beginnende Nacht.

Als wir gerade wieder eingerollt waren fragte ich mich auf einmal ob der Asphalt hier wirklich so rau ist. Es war nicht der Asphalt sondern mein platter Vorderreifen. Und das war für mich, als Fan von möglichst robusten Reifen, mein erster Brevet-Platten! Endlich konnte ich mal meine Luftpumpe, die ich schon tausende Kilometer spazieren gefahren habe, einsetzen. Die Gruppe stoppte und mit der Hilfe von Walter war das Problem in knapp fünf Minuten gelöst. Ein dünner Draht hatte sich in die Seitenflanke meines Conti 4-Season gebohrt. Da wäre wahrscheinlich jeder andere Reifen auch chancenlos gewesen.

Wir fuhren die nächsten zwei Stunden wieder etwas in das Gewitter hinein bzw. hinter ihm her. Es regnete leicht und die Straßen waren nass. Danach hörte der Regen auf und die Klamotten begannen langsam im Wind zu trocknen. Gegen 2:00 Uhr waren dann die Straßen wieder trocken, die Temperatur war mit 19° Grad angenehm und da machten mir selbst die recht zähen Hügel an diesem Streckenabschnitt Spaß. Die Situation war zu diesem Zeitpunkt für mich wieder voll unter Kontrolle! In einer Kneipe sang eine Gruppe Franzosen bei geöffneten Fenstern lauthals einen Chanson – was für eine schöne Stimmung und was für eine schöne Nacht!

Durch die Nacht

Zum Glück war in Versoul dieses Mal eine zuverlässige Stempel-Kontrolle organisiert worden. An der Feuerwehr war ein Stempel deponiert, wo sich jeder selbst sein Brevet-Kärtchen abstempeln konnte. Es war inzwischen etwas frisch geworden und ich war froh, dass es zum warmfahren wieder bergauf ging. Der Streckenabschnitt mit der leichten Steigung bis kurz vor Giromagny war (wieder) genau mein Ding und ich musste aufpassen, dass ich die anderen nicht abhängte wenn ich vorne fuhr.

Walter wurde zusehends müde und meinte, dass er sich kurz schlafenlegen wolle um einem möglichen Sekundenschlaf zu entgehen. Ich versuchte ihn erst noch zum weiterfahren zu ermuntern, aber jeder muss für sich selbst wissen, wie er die Lage für sich unter Kontrolle hält. Nachdem Walter weg war waren wir noch zu viert. An der ersten offenen Bäckerei in Giromagny trafen wir Urban der dann mit uns weiterfuhr.

Urban erklärte mir dann wie er die Hügel mit einer „Streichel-Taktik“ fährt. Mir war bei diesen Hügeln nicht nach streicheln sondern eher nach plattklopfen zumute. Aber irgendwann hatte auch diese Hügelansammlung ein Ende und wir waren im Rheintal angelangt. Ab der letzten Kontrolle an der, vom 300er bekannten, Esso Tankstelle, wollten wir den letzten Abschnitt zum lockeren ausrollen nutzen. Ich mag es sehr wenn man zum Schluss etwas gemächlicher fährt um mir das erlebte noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich dachte: „Was für ein geiles Hobby wir doch haben“ 😀

Als es wir dann die Freiburger Stadtgrenze um ~9:50 Uhr erreichten keimte der Ehrgeiz in unserer Gruppe auf die Ziel-Tankstelle noch vor 10:00 Uhr zu erreichen. Urban peitschte mit detaillierter Kenntnis der Ampelschaltungen mit Tempo 40 km/h vorne weg und auch rote Ampeln konnten uns von unserem Ziel nicht mehr abbringen. Punkt 10:00 Uhr hatte ich dann den letzten Stempel im Kärtchen und wir verabschiedeten uns nach einem Gruppenfoto mit den Worten: „See you in Paris“!

Rückblickend hier noch eine Auswertung von neuen Dingen, die ich diese Brevet-Saison ausprobiert habe:

Nachdem ich bei meinen bisherigen drei 600er Brevets am Ende immer massivste Sitzbeschwerden hatte, war ich dieses Jahr das erste mal nahezu beschwerdefrei (und das trotz regennasser Hose!). In den Jahren vorher hatte ich immer aus kleinen Sitzpickeln angewachsene Furunkel die teilweise die Größe einer Kirsche erreichten. Klar hat mir auch dieses Jahr am Ende auch der Hintern weh getan, aber es war kein Problem was mich aus medizinischer Sicht am weiterfahren hindern könnte. Die Lösung ist für mich der Luftsattel von Sixt! Sehr vielen Dank für die Erfindung dieses genialen Produktes!

Mein Experiment mit der weitgehenden flüssigen Ernährung über einen Camelbak Trinkrucksack hat sich auch bewährt. Ich habe auf die 600 Kilometer 780 Gramm von dem Sponser Long Energy Pulver getrunken. Dazu hab ich natürlich so viel wie möglich feste Nahrung gegessen (zwei Brötchen, ein Stück Kuchen, eine Pizza, einen Mandelriegel, einen Amaranthriegel, ein Gel, eine Tüte Sponser Sport-Gummidrops, ein Mars). Aber dieses „Grundpolster“ an Energie über das Trinken hat mich auch auf diesem Brevet vor einem Energieloch bewahrt. Selbst gegen Ende war immer noch genügend Energie vorhanden um Urban hinterherzudüsen.

Fazit: Es ist nicht immer einfach die Kontrolle beim Langsteckenradeln zu behalten aber das macht die Sache ja gerade so spannend. Am Ende hätte ich mir dieses mal sogar vorstellen können nach einer schönen Pause noch mal aufs Rad zu steigen und weiterzufahren. Paris kann kommen! Danke an Walter & Urban für diese schöne Brevet-Saison!


5 Kommentare zu „Kontrollfragen

  1. Hallo Tilo,
    ich lese deine Texte über die Brevets immer mit großem Vergnügen. Viel Erfolg in Paris.
    Norbert

  2. Hallo Tilo,

    da man sich über den Winter häufig aus den Augen verliert wollte ich nachfragen, ob Du Dich von PBP wieder erholt hast. Laut Trainingsplan ist Dir der Spass jedenfalls nicht vergangen.

    Würde mich über eine Nachricht von Dir freuen.

    Grüße
    Dino

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